Bundeswehr „kaputt gespart“ bei 50% Budget-Steigerung?




Das mediale Etablissement ist sich einig: Die Bundeswehr wurde „kaputt gespart“. Wie das bei einem in den letzten Jahren kontinuierlich um über 50% erhöhten Kriegsetat geht und was der „Förderkreis Deutsches Heer“ ist, wird versucht, hier zu verdeutlichen.

Die Bundeswehr als größtes Abrüstungsprojekt seit 1945?

Wer aktuell die Debatte um die Bundeswehr verfolgt, gewinnt den Eindruck, dass dort unter „Kameradschaft“ vor allem Kumpanei mit Nazis und Schikanen a la der Zweckentfremdung von Tampons gemeint sei. Angesichts des medialen Geheules um die Bundeswehr, bei der sämtliche Technik und ganze Waffengattungen kaputt zu sein scheinen, könnte man zudem den Eindruck gewinnen, dass die beim Militär versammelten autoritären Charaktere gerade das größte deutsche Abrüstungsprojekt seit 1945 durchziehen.

Technikprobleme machen lächerlich

Es mag zwar unterhaltsam sein, zu sehen, wie sich die Bundeswehr, die sich, wie in den „Mach-was-zählt“-Werbekampagnen sichtbar, über überkommende Vorstellungen von Männlichkeit, Stärke und Technikfetischismus definiert, mit suboptimal einsetzbarer Technik lächerlich macht. Doch da eigentlich alle am Diskurs Beteiligten von SPD bis NPD ein „starkes Deutschland“ wollen, ist in den Medienkommentaren regelmäßig gleich nach dem unterhaltsamen lächerlichen Teil die These zu lesen, dass das deutsche Militär „kaputt gespart“ worden sei. Anschließend kommt unisono die Forderung, dem Club von Untergebenen schikanierenden Nazitollfindern deshalb noch mehr Geld zu geben.

50% mehr Kohle fürs Militär

Schaut man sich die Fakten an, zeigt sich, dass schon das erste Postulat, die These vom Sparen, nicht haltbar ist. Vergleicht man die Bundeshaushalte der letzten Dekaden, dann zweigt sich etwas anderes. Im Jahr 1999 belief sich der Militärhaushalt auf umgerechnet 24,3 Mrd. Euro und stieg bis 2017 auf 37 Mrd. Euro an. In absoluten Zahlen handelt es sich hier um eine Steigerung um über 50 Prozent. Selbst inflationsbereinigt stieg der Haushalt um etwa 28 Prozent an. Auch für die kommenden Jahre liegen die geplanten Budgetsteigerungen deutlich über der Inflationsrate, aktuell sind für das Jahr 2021 42,3 Mrd. Euro vorgesehen. Auch die Wertigkeit der Etats hat sich verschoben. Seit 2006 hat sich der Wehretat vom viertgrößten Einzelposten zur Nummer Zwei entwickelt. Objektiv lässt sich nicht sagen, dass bei der Bundeswehr gespart worden wäre. Wer das tut, ist entweder Idiot*in oder Propagandist*in (oder beides).

Lobbyorganisation an den Schnittstellen

Wie kommt es nun aber, dass alle Welt vom kaputtgesparten Militär, das mehr Kohle braucht, palavert? Unter anderem liegt das an clever agierenden Lobby-Organisationen, die an der Schnittstelle zwischen Industrie, Politik, Militär und Öffentlichkeit agieren. Eine dieser Organisationen ist der Förderkreis Deutsches Heer. Dieser sitzt im Lindencorso in Berlin, Unter den Linden. Dort sitzen mit General Electrics, Volkswagen und Veolia mindestens drei weitere im Rüstungssektor engagierte Firmen und mit Microsoft darüber hinaus ein Vereinsmitglied (die in deutschen „Qualitätsmedien“ häufig geäußerte Aussage, dass dort auch das Vereinsmitglied Rheinmetall einen Sitz hätte, konnten wir nicht verifizieren). Der Förderkreis Deutsches Heer dürfte Kenner des militärischen Milieus u.a. als Organisator*in des „Ball des Heeres“ bekannt sein. Womit sich dann auch gleich die Frage stellt, wer da eigentlich den Ball des Heeres dem Heer bezahlt? So richtig transparent mag der Verein damit nicht umgehen. Man erfährt nicht, wer die 15-20 Mitglieder im Vorstand sind. Auch seine Finanzierung mag der Verein nicht offen legen.

Präsidium aus Militär, Wirtschaft, Politik

Die namentlich genannten Präsidiums-Mitglieder machen aber deutlich, wie der Verein funktioniert. Es sind Wolfgang Köpke, Generalleutnant a.D., Frank Haun (Vorsitzender der Geschäftsführung Krauss-Maffei Wegmann, Vizepräsident Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Mitglied des Präsidiums Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik (DGW), Beiratsmitglied Münchner Sicherheitskonferenz ) und Bernd Siebert, CDU-MdB, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags, Mitglied des Präsidiums Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik). Weitere zufällig bekannt gewordenen Mitgliedschaften von Abgeordneten (u.a. Johannes Kars) zeigen, dass sich der Verein vor allem für den Haushaltsausschuss zu interessieren scheint. Kein Wunder: Hier wird das Geld für Rüstungsaufträge und Rüstungsexport verteilt, und im Kriegsministerium sind sie über die Connegge zu den Militärs ohnehin schon gut vernetzt.



Drehtüren

So kann der Verein vor allen als Drehtür funktionieren. Durch die Militärs und Abgeordneten im Verein kommen rechtzeitig Infos zur Industrie, und die Abgeordneten können die Wünsche von Industrie und Militär bei entsprechender Gelegenheit in den politischen Willensbildungsprozess einfließen lassen. Doof nur, das eine große Mehrheit der Bevölkerung dem zum Glück noch kritisch gegenüber steht. Also brauchen die politischen Willensbildungsprozesse etwas diskursive Hilfe. Man kann sich gut vorstellen, wie das ablaufen könnte: Während der Koalitionsverhandlungen steckt man befreundeten Journalist*innen von den Militärs kommende Informationen über die Folgen des Missmanagements der Bundeswehr, verbindet es jedoch mit dem Narrativ des „Kaputtsparens“. Und schon bildet sich das in den kommenden Wehretats ab…



Verantwortungslose Konzerne?

Bei aller verständlichen Empörung, die die völlig unverantwortlichen Waffenexporte deutscher Konzerne auslösen, sollte man aber nicht bei dem klassisch bildungsbürgerlichen Idiot*innengerede von der angeblichen „Gier der Konzerne“ stehen bleiben. Denn das suggeriert, dass die Spielregeln, nach denen die Welt funktioniert, eigentlich ganz in Ordnung seien, und die angeblich bösen Konzerne nur netter und „verantwortungsbewusster“ sein müssten. Diese schöne einfach ohne jegliche systematische Veränderung auskommende Idealisierung ist zwar schön einfach, doch leider völlig absurd.

Herrschaft und Kapitalismus abschaffen

Denn zu den Spielregeln, die im Kapitalismus alle befolgen müssen, gehört das Gesetz der tendenziell sinkenden Profitrate. Das bedeutet, dass gesellschaftlich betrachtet durch Innovationen der Profit pro Werkstück im Zeitverlauf tendenziell sinkt. Wer also sich nichts Neues zum Geld verdienen ausdenkt, muss irgendwann so wie viele deutschen Firmen z.B. auch den letzten Giftgas-Dreck an egal wen verscherbeln, um nicht Pleite zu gehen. Wer also nicht sich geschichtsvergessen und ahnungslos in regelmäßigen Abständen über die trotz aller „Reformen“ nicht funktionierende Rüstungsexportkontrolle empören möchte, sollte sich ernsthafte Gedanken zur emanzipatorischen Überwindung von Herrschaft und Kapitalismus machen.



Mehr Infos:

Wird die Bundeswehr kaputt gespart?


Lobbypedia zum Förderkreis Deutsches Heer:


Grafiken zum Bundeshaushalt:


Auseinandersetzung mit der Bundeswehr-Werbung?

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