"keine vollständigen Tatsacheninformationen"... lächerlich


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Frage: Thema Türkei und Afrin. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat mittlerweile eine Auswertung auf Anfrage von Parlamentariern vorgelegt. Diese folgt weder der türkischen Argumentation noch der deutschen. Die Bundesregierung spricht davon, dass die Türkei ein Selbstverteidigungsrecht wahrnimmt. Sie haben ja selbst von „legitimen Sicherheitsinteressen“ gesprochen. Der Wissenschaftliche Dienst spricht davon, dass die türkische Regierung jedoch „den konkreten Beweis für das Vorliegen eines das Selbstverteidigungsrecht auslösenden ‚bewaffneten Angriffs’ schuldig“ bleibt.
Die Bundesregierung hat hier immer das, was die Türkei sagt, wiederholt und sich selbst einer völkerrechtlichen Prüfung entzogen. Haben Sie, anders als der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, diese Beweise, die dafür notwendig sind, dass diese Argumentation in irgendeiner Weise Sinn macht, vorliegen?
Adebahr: Dazu möchte ich gerne sagen, dass wir bei dem Sachstand, den der Bundestag jetzt vorgelegt hat, sehen, dass er eine Reihe von Fragen aufwirft, die wir hier mehrfach diskutiert haben, und dass wir auch zur Kenntnis nehmen, dass dieser Sachstand darauf hinweist, dass die Faktenlage nicht vollständig ist und in seiner Gesamtaussage zu dem Schluss kommt, dass die Fragestellung einer völkerrechtlichen Bewertung nicht abschließend zu beantworten ist. Ich denke, das ist die gleiche Richtung, in der wir hier auch ausgeführt haben.
Sagen wir so: Ich habe hier dargestellt, was die Türkei als Begründung für ihren Einsatz angegeben hat. Ich habe Ihnen dargestellt, dass uns - das ist auch der heutige Stand - eben keine vollständigen Tatsacheninformationen vorliegen, die uns eine eigene völkerrechtliche Bewertung erlauben würden. Das ist auch eine Sache, die ich aus der Sachlage, die der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags vorgestellt hat, herauslese.
Dann möchte ich noch einmal anfügen, dass wir, zuletzt auch der Bundesaußenminister in einer Pressekonferenz mit dem türkischen Amtskollegen, der Türkei mehrfach und immer wieder gesagt haben, dass wir eine Einstellung der Kampfhandlungen fordern, dass wir eine vollständige Umsetzung der Resolution 2401 fordern, dass wir auch sehen, dass sich die türkischen Sicherheitsinteressen auf das Notwendige und das Verhältnismäßige beschränken müssen, dass vor allen Dingen das humanitäre Völkerrecht einzuhalten ist und der Schutz der Zivilbevölkerung Vorrang haben sollte.
Das sind politische Aussagen, die Sie von uns sehr klar und deutlich gehört haben.
Zusatzfrage: Ich muss noch einmal konkret nachfragen: Hält die Bundesregierung die Selbstverteidigungsargumentation der Türkei für plausibel?
Adebahr: Wenn ich die Frage mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten würde - - Das ist ja eine Frage, die man - -
Zuruf: Der Wissenschaftliche Dienst sagt „Nein“.
Adebahr: Der Wissenschaftliche Dienst sagt, dass eine völkerrechtliche Bewertung abschließend nicht möglich ist. Das deckt sich mit dem, was ich hier wiederholt vorgetragen habe.
Zusatzfrage: Können Sie meine Frage beantworten: Hält die Bundesregierung die Selbstverteidigungslogik immer noch für plausibel?
Adebahr: Ich antworte Ihnen darauf mit dem Satz, dass uns keine vollständigen Tatsacheninformationen vorliegen, die eine rechtliche Bewertung erlauben würden.
Frage: In den vergangenen Wochen, Frau Adebahr, war Ihre Argumentation, wenn ich das richtig erinnere, dass Sie als Begründung für den Afrin-Einsatz sagten: Da die Türkei bei den Vereinten Nationen das Recht auf Selbstverteidigung angeführt habe, könnten Sie völkerrechtlich nicht bewerten. Wenn nun das Ergebnis des Wissenschaftlichen Dienstes ist, dass sich aus dem, was die Türkei vorgelegt hat, nicht erschließt, dass sie dieses Recht in Anspruch nehmen könnte, dann müsste das, finde ich, doch ein Stück weit auch die Positionierung der Bundesregierung verändern. Es ist ja ein Unterschied, ob ich sage „Wir können nichts sagen, weil die Türkei ein Wahlrecht auf Selbstverteidigung für sich in Anspruch nimmt“, jetzt aber festgestellt wird, dass sich bei dem, was die Türkei vorgelegt hat, nicht rückschließen lässt, dass es ein Recht auf Selbstverteidigung ist. Das ist doch eine substanziell andere Situation.
Adebahr: Meiner Kenntnis nach ist es so, dass wir - und auch ich - von dieser Stelle aus gesagt haben, was die Türkei vorträgt und wir uns für gesagt haben: Uns liegen keine vollständigen Tatsacheninformationen vor, die eine völkerrechtliche Bewertung für uns zulassen.
Ich will hier den Sachstand des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages nicht im Einzelnen kommentieren. Aber meiner Kenntnis nach kommt man auch dort letztlich zu dem Schluss: Eine Bewertung ist nicht möglich.
Zusatzfrage: Ich ziehe einmal die Parallele zu den Verhaftungsfällen von deutschen Journalisten. Die Türkei hat im Fall Deniz Yücel ein Jahr lang von Terrorismusverdacht gesprochen, hat aber nie Beweise dafür vorgelegt, sondern immer nur von Terrorismusverdacht oder Verdacht auf Terrorismusunterstützung gesprochen. Da haben Sie sehr wohl nach relativ kurzer Zeit gesagt: Die können nichts vorlegen. Das glauben wir nicht. Das erschließt sich uns nicht. - Analog dazu könnten Sie das in diesem Fall doch vielleicht auch machen und nicht sagen: Solange wir keinen kompletten Überblick haben, können wir gar nichts dazu sagen.
Adebahr: Das ist eine Anregung, die Sie jetzt machen. Ich glaube, ich möchte nicht Parallelen zwischen dem Einsatz um Afrin und einem konkreten Haftfall ziehen.
Frage: Frau Adebahr, Voraussetzung für eine Selbstverteidigungslage ist ja ein bewaffneter Angriff gegen einen Mitgliedstaat. Die Türken behaupten, dass es vor der „Operation Olivenzweig“ - so heißt der Angriff im Januar - Angriffe von der anderen Seite gab. Haben Sie konkrete Beweise, Erkenntnisse über Opferzahlen, über die Intensität des angeblichen Angriffs, über das Ausmaß von Zerstörungen usw.? Haben Sie das in irgendeiner Weise in Erfahrung gebracht? Der Wissenschaftliche Dienst hat ja türkische Medien, internationale Medien, syrische Medien, Nato-Meldungen usw. durchforstet. Da gab es nichts, was einen Angriff, der zur Selbstverteidigung führen würde, rechtfertigen würde. Haben Sie irgendetwas?
Adebahr: Darauf kann ich nur sagen, dass wir der türkischen Seite unsere Haltung - die habe ich auch mehrfach ausgeführt - klar dargelegt haben und das auch der türkischen Seite sehr klar ist.
Zusatzfrage: Pflicht eines Nato-Partners ist es ja nicht nur, den Nato-Partner zum Stopp des Angriffs aufzufordern - das tut die Bundesregierung ja -, sondern die andere Pflicht ist, dass sie die Türkei auffordert, triftige Beweise für die Selbstverteidigung vorzulegen. Tut die Bundesregierung das? Hat die Bundesregierung die Türkei aufgefordert, Beweise für die angebliche Selbstverteidigungslage vorzulegen?
Adebahr: Ich glaube, ich habe zu dem Themenkomplex das gesagt, was ich sagen wollte.
Zuruf : Nein!
Adebahr: Das, was ich sagen wollte, habe ich gesagt. Eine Pflichtendiskussion in dieser Art über das Thema ist, glaube ich, hier von mir nicht zu führen. Ich glaube, ich habe für die Bundesregierung unsere Haltung zu diesem Themenkomplex, soweit ich das von dieser Stelle machen kann und ausführlich machen kann, dargestellt.
Frage: Sie sehen es mir nach, dass ich trotzdem noch einmal genau an der Stelle weitermachen muss.
Ich darf einmal aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zitieren: „Den Nato-Bündnispartnern würde es nun obliegen, das Nato-Mitglied Türkei z.B. im Rahmen von Nato-Konsultationen nach Art. 4 Nato-Vertrag aufzufordern, triftige Beweise für das Vorliegen einer Selbstverteidigungslage nach Art. 51 VN-Charta beizubringen ...“ Die simple Frage: Beabsichtigt die Bundesregierung das?
Adebahr: Zur Frage, wie die Nato damit umgeht: Dazu gab es Beratungen.
Ob die Nato dazu weitere Beratungen führen und dazu einladen möchte, ist eine Frage, die Sie primär erst einmal an die Nato stellen müssten, die diese Entscheidung zu treffen hat.
Zusatzfrage: Meine Frage ist ja, ob das Nato-Mitglied Bundesrepublik Deutschland beabsichtigt, solche Konsultationen voranzutreiben.
Adebahr: Ich kann Ihnen nach dem aktuellen Stand sagen, dass wir uns in der Nato, wenn es dort beraten werden sollte, natürlich keiner Beratung verschließen. Es ist aber eine Entscheidung, die die Nato zu treffen hat.
Frage: Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es ja doch um die Pflichten, respektive Rechte des einzelnen Nato-Mitglieds. Aber vielleicht kann Herr Henjes uns dazu etwas sagen. Er ist meines Wissens relativer Experte für genau solche Fragen.
Henjes: Erst einmal vielen Dank für die Blumen. - Sie sehen mich hier in der Verantwortung als Sprecher des Verteidigungsministeriums. Ich denke, die Bewertung, inwiefern hier der Nato-Vertrag im Vorfeld oder nicht greift, werde ich hier nicht abgeben.
Zuruf : Schade!
Frage: Nur zum Verständnis, Frau Adebahr: Können Sie uns erklären, warum der Wissenschaftliche Dienst schneller die Frage des Völkerrechts prüfen kann als das Auswärtige Amt?
Adebahr: Hier geht es nicht um schnell oder langsam. Es geht darum, dass ich vorgetragen habe, aus welchen Gründen wir keine völkerrechtliche Bewertung vorliegen. Und so ist es.
Zusatzfrage : Wann können wir denn damit rechnen?
Adebahr: Ich glaube, dazu ist auch alles gesagt."

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