Gefahr eines Genozids
"Türkische Truppen und islamistische Milizen stehen kurz vor der nordsyrischen Stadt Afrin. Antikriegsproteste in ganz Europa
Von Peter Schaber
Das Schweigen brechen: Demonstrantin im französischen Toulouse (10. März 2018)
Foto: picture alliance / NurPhoto
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Die türkische Besatzungsarmee, die seit dem 20. Januar versucht, den
nordsyrischen Kanton Afrin einzunehmen, steht unmittelbar vor der
gleichnamigen Provinzhauptstadt. Am Wochenende war es in der näheren
Umgebung der Stadt zu schweren Gefechten gekommen, alleine 450 Kämpfer
der türkischen Streitmacht und deren islamistischer Verbündeter seien
dabei nach Angaben der kurdischen Nachrichtenagentur Anha im Verlauf von zwei Tagen getötet worden. Dennoch steht Afrin kurz vor einer humanitären Katastrophe.
Angesichts der drohenden Massaker wandte sich am Wochenende auch der
größte Dachverband kurdischer Institutionen, die Union der
Gemeinschaften Kurdistans (KCK), an die Weltöffentlichkeit. Die
türkischen Regierungsparteien AKP und MHP »führen eine Invasion durch,
deren Motivation die Durchführung eines Genozids ist«. Die Staaten, die
»Waffen an die Türkei liefern, sind Komplizen in diesem Verbrechen«. Die
erwähnten Staaten – allen voran die USA und die Bundesrepublik – zeigen
indes kaum Interesse an den Geschehnissen in Afrin. Trotz vorliegender
Beweise für die Ermordung von Zivilisten und den Einsatz deutscher
Waffen im Zuge der Militäroffensive schweigt Berlin sich aus.
Die Administration der lokalen Selbstverwaltung in Afrin forderte, Druck
auf die Türkei auszuüben, um den Vormarsch auf die immer noch von
Hunderttausenden Zivilisten bewohnte Stadt zu stoppen. »Seit 51 Tagen
führt der faschistische türkische Staat Luft- und Bodenangriffe gegen
die Zivilbevölkerung Afrins durch«, erklärte Osman Sex Isa,
Kovorsitzender des Exekutivrats von Afrin, am Sonntag während einer
Pressekundgebung in der belagerten Stadt. »Hunderte Zivilisten, darunter
Kinder und Frauen, wurden so massakriert.« Man mahne die Vereinten
Nationen und den UN-Sicherheitsrat dazu, die Attacken des
Erdogan-Regimes zu stoppen.
In der Bundesrepublik nimmt indessen der Druck auf Antimilitaristen
und Kriegsgegner zu. Die Bundesregierung und Anhänger der türkischen
Regierung scheuen keine Mühen, um Gegner des Einmarsches mundtot zu
machen. Erstere intensiviert die Kriminalisierung kurdischer
Institutionen und Veranstaltungen. Letztere sekundieren durch die
Bedrohung von Menschen, die sich gegen den Angriff auf Afrin wenden.
Nach einem Tweet in Solidarität mit den Verteidigern des nordsyrischen
Kantons erhielt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke)
Morddrohungen.
Gegen den Angriffskrieg mit deutscher Beihilfe
wandten sich am Wochenende Zehntausende Menschen in Dutzenden Städten
der BRD. Das »Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in
Deutschland« (Nav-Dem) und linke Gruppen riefen zu »Eildemonstrationen«
ob der drohenden Massaker in Afrin auf. In Stuttgart, Berlin, Hannover,
Köln, Erfurt und zahlreichen weiteren Städten folgten jeweils hunderte
Menschen dem Appell. Am Samstag in Hamburg sowie am Sonntag am
Düsseldorfer Flughafen kam es dabei zu Auseinandersetzungen zwischen
Protestierenden, der Polizei und türkischen Nationalisten. Die
Massenproteste sind nicht auf Deutschland begrenzt: In der Schweiz und
Italien gab es Kundgebungen, in Manchester blockierten Kriegsgegner die
Gleise des Hauptbahnhofes, vor dem türkischen Konsulat im griechischen
Thessaloniki lieferten sich Demonstranten Straßenschlachten mit der
Polizei."
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