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 Junge Welt

Angela Merkel empfängt den türkischen Ministerpräsidenten in Berlin. Bundesregierung setzt Kurs der Kumpanei mit Ankara fort

Von Peter Schaber
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Nette Worte, freundliche Gesten: Solange die Lira rollt, hat Ankara von der Bundesregierung nichts zu befürchten
Zehntausende Oppositionelle sitzen in türkischen Gefängnissen, der autokratisch herrschende Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan träumt von der Wiedererrichtung des Osmanischen Reiches, und deutsche »Leopard 2«-Panzer rollen als Teil einer mit Kopfabschneider- und Vergewaltigermilizen kooperierenden Streitmacht in den mehrheitlich kurdischen Norden Syriens.
In Berlin empfing man den türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim am Donnerstag dennoch betont freundlich. Kritisch sieht man zwar die seit mehr als einem Jahr andauernde Inhaftierung des Welt-Journalisten Deniz Yücel. Die Entwicklung der Türkei zu einer faschistischen Diktatur und ihr völkerrechtswidriger Einmarsch in die syrischen Kurdengebiete aber interessieren kaum. Kurz und bündig erklärte das Auswärtige Amt in der Antwort auf eine aktuelle Anfrage der Linkspartei-Abgeordneten Gesine Lötzsch, was man auf jeden Fall nicht zu tun gedenke: »Eine Verhängung von ›Sanktionen‹ ist nicht vorgesehen.« In dem Dokument, das junge Welt vorliegt, referiert Staatssekretär Walter J. Lindner brav die vom Erdogan-Regime vorgegebene Linie: Der Angriff auf Afrin stütze sich, das habe die Türkei klargemacht, auf das »völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht«. Die »Sicherheitsinteressen der Türkei müssen Beachtung finden«.
Diese »Sicherheitsinteressen«, denen Merkel und Co. Beachtung schenken wollen, haben auf das Leben Zehntausender Menschen in Afrin dramatische Auswirkungen: 161 Zivilisten, darunter 26 Kinder, kamen bislang im Zuge der »Operation Olivenzweig« ums Leben, teilte eine Reporterin des Informationszentrums des Widerstands in Afrin (ICAR) jW am Donnerstag mit. Wohnviertel, Krankenhäuser und Schulen wurden bombardiert.
Der Mann, mit dem Merkel am Donnerstag freundliche Gesten austauschte, hat aber noch mehr auf dem Kerbholz: Seit Mai 2016 ist er Ministerpräsident der Türkei, schon zuvor zählte er seit vielen Jahren zum engsten Kreis um Erdogan. In den Zeitraum seiner Tätigkeit als Premier und zuvor Minister fallen zahllose Greueltaten türkischer Sicherheitskräfte: Ende 2015 ermordeten Soldaten die PKK-Aktivistin Ekin Van, schändeten ihre Leiche und legten den nackten Körper im Stadtzentrum der osttürkischen Kleinstadt Varto ab. Am 7. Februar 2016 verbrannten türkische Soldaten in der südostanatolischen, mehrheitlich kurdischen Stadt Cizre mehr als hundert Menschen bei lebendigem Leib. Im Oktober 2016 tauchte ein Video auf, das zeigt, wie türkische Spezialkräfte zwei gefangene kurdische Guerillakämpferinnen durch Genickschüsse hinrichten.
Bei manch anderer Regierung hätte das für konkrete Strafmaßnahmen ausgereicht. »Die Bundesregierung misst bei der Verhängung von Sanktionen mit zweierlei Maß. Russland wird anders behandelt als die Türkei«, kommentierte die Linke-Politikerin Lötzsch gegenüber junge Welt die Untätigkeit Berlins.
Die doppelten Standards sind indes nicht schwer zu erklären. In der Pressekonferenz mit dem Kriegsverbrecher Yildirim am Donnerstag bekundete Kanzlerin Merkel, man habe viele »gemeinsame Interessen«, vor allem auch wirtschaftliche. Und die wolle man »intensivieren«. Am Morden in Kurdistan verdienen immer auch deutsche Firmen. Und die wussten schon vor Tagen, wie Berlin sich letztlich verhalten wird. Sowohl Krauss-Maffei Wegmann wie auch Rheinmetall setzten ihre Bemühungen um Panzerdeals mit der Erdogan-Diktatur fort.

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